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30/10/2024

Sind Jugendkunstschulen Orte der Demokratiebildung?

Beitrag der LAG JKS zum InfoDienst No.:153 "Vita Aktiva. Wie Demokratie lebt"

Sind Jugendkunstschulen Orte der Demokratiebildung?
Was für eine Frage! Selbstverständlich sind Jugendkunstschulen und kulturpädagogische Einrichtungen auch Orte der Demokratiebildung. Neben der kulturell-ästhetischen Kinder- und Jugendbildung, die per se in all unseren Einrichtungen stattfindet, werden stets auch weitere Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens berührt.

Das Selbstverständnis von Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen

Im Leitbild des bjke ist formuliert, dass Jugendkunstschulen und kulturpädagogische Einrichtungen (weiterhin Jugendkunstschulen) unverzichtbarer Teil der lokalen Bildungslandschaften sind, denen ein ganzheitliches Bildungsverständnis zugrunde liegt. Ihre Angebote basieren auf den Prinzipien der Freiwilligkeit, Partizipation und haben einen deutlichen Lebenswelt- und Sozialraumbezug. Darüber hinaus kooperieren Jugendkunstschulen mit z.B. Bildungs- und Kultureinrichtungen; die entwickelten Angebote gehen auf allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen ein.
Allein die Bullet-Points lokale Bildungslandschaften, Partizipation und gesellschaftliche Entwicklungen machen deutlich, dass in Jugendkunstschulen täglich auch demokratische Prozesse stattfinden, die wiederum zur Demokratiebildung bei den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen beitragen. Denn Jugendkunstschulen sind Orte des Dialogs, der Begegnung und Kommunikation.

Künstlerische Methoden für mehr Spaß an Demokratie

In der Jugendkunstschule Nordhausen treffen sich jedes Jahr Kinder der 5. Klassen eines städtischen Gymnasiums und verbringen die ersten Tage in der neuen Schule damit, sich gegenseitig kennenzulernen.
Mit Mitteln der Kunst werden Begegnungsräume geschaffen, die es den Kindern ermöglichen, unvoreingenommen und stärkenorientiert aufeinander zuzugehen, ihre Vorlieben, Interessen und Ängste kennenzulernen und im besten Fall am Ende der Projektzeit zu einer starken Klassengemeinschaft zusammenzuwachsen, die gemeinsame Lernwege beschreitet.
Die künstlerischen Ergebnisse sind sichtbar – die für die Klassengemeinschaft wertvollen zwischenmenschlichen und damit gesellschaftlich relevanten Ergebnisse sind im Keim angelegt und können im Schulalltag wachsen: Toleranz, Konfliktfähigkeit, Wertschätzung anderen gegenüber, Meinungsfreiheit.
Dies ist nur ein einziges unzählig vergleichbarer Beispiele dafür, wie die Künstlerinnen und Künstler in mehr als 400 Jugendkunstschulen bundesweit mit ihrer Arbeit zur Demokratiebildung beitragen.

Neutralitätsgebot, Beutelsbacher Konsens und die Krux mit der Gemeinnützigkeit

Das Neutralitätsgebot in der kulturellen Bildung ist ein Thema von wachsender Relevanz in der aktuellen Bildungsdiskussion. Es bezieht sich auf die Verpflichtung von Bildungseinrichtungen, insbesondere Schulen, eine politische, religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren. Doch auch zahlreiche geförderte Projekte sind von der Frage betroffen, ab wann das Neutralitätsgebot verletzt ist. Gilt es doch, um sicherzustellen, dass Schülerinnen und Schüler in einem Umfeld lernen, das frei von Indoktrination und Beeinflussung ist.
Kulturelle Bildung umfasst dabei eine breite Palette von Aktivitäten und Themen, die von Kunst und Musik über Theater und Literatur bis hin zu interkulturellem Austausch und politischer Bildung reichen. In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie das Neutralitätsgebot mit den Inhalten der kulturellen Bildung vereinbart werden kann.
Befürworter einer strikten Einhaltung des Neutralitätsgebots argumentieren, dass kulturelle Bildung den Schülerinnen und Schülern zwar wichtige Fähigkeiten und Wissen vermitteln soll, dabei aber keine einseitige politische oder weltanschauliche Positionierung stattfinden dürfe. Sie warnen vor einer möglichen Instrumentalisierung kultureller Bildung als Plattform für politische Meinungsbildung, die den pluralistischen Charakter der Einrichtung untergraben könnte.
Auf der anderen Seite betonen Kritiker einer zu rigiden Auslegung des Neutralitätsgebots, dass kulturelle Bildung per se immer auch Werte und Weltbilder vermittelt. Sie argumentieren, dass Kultur nicht losgelöst von gesellschaftlichen und politischen Kontexten betrachtet werden könne und dass es Aufgabe der Bildung sei, den Kindern und Jugendlichen eine kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen zu ermöglichen. Dies könne nur gelingen, wenn auch kontroverse Themen einbezogen und diskutiert würden.
Ein weiterer Aspekt der Debatte ist die Frage, inwieweit das Neutralitätsgebot möglicherweise die Kreativität und den freien Ausdruck im Rahmen der kulturellen Bildung einschränkt. Kunst und Kultur leben von unterschiedlichen Perspektiven, von der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen und von der Möglichkeit, auch unbequeme Themen anzusprechen. Hier besteht die Gefahr, dass ein zu striktes Neutralitätsgebot eine zu starke Zurückhaltung und Selbstzensur fördert.
Schließlich ist zu bedenken, dass kulturelle Bildung auch eine integrative Funktion hat. In einer zunehmend heterogenen Gesellschaft ist es wichtig, dass Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gegeben wird, sich mit verschiedenen kulturellen Hintergründen und Perspektiven auseinanderzusetzen. Dies kann nur gelingen, wenn kulturelle Bildung offen und vielfältig gestaltet wird, ohne dabei auf politische oder weltanschauliche Neutralität zu verzichten.
Nicht erst seit dem Entzug der Gemeinnützigkeit für Campact e.V. im Jahr 2019 gab es in zahlreichen Vorständen auch von Jugendkunstschul-Trägervereinen und anderen Körperschaften verschiedene rechtliche Fragen im Bezug auf den Bildungsauftrag von Angeboten im außerschulischen Bereich.
Für viele Einrichtungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg – hier fanden im September 2024 Landtagswahlen statt – spitzte sich im Vorfeld der Wahlen diese Frage zu: allgemeinbildende Schulen waren nicht mehr ohne weiteres bereit, Jugendkunstschulangebote mit einem deutlichen gesellschaftlichen Bezug zu nutzen. Sie wurden zum Teil mit Verweis auf das Neutralitätsgebot von den Lehrkräften abgesagt.
Trägervereine überprüften ihre Satzungen und einzelne Angebote wurden umgestaltet, um keinerlei Angriffsfläche für mögliche Konflikte zu bieten. Verunsicherung, Rückzug und (im schlimmsten Fall) Passivität und Verstummen – das sind die Ergebnisse, mit denen wir möglicherweise arbeiten müssen. Hervorgerufen von einzelnen Kampagnen und teilweise klar formulierten Zielen in Wahlprogrammen einzelner Parteien.
Doch das aktuelle Rechtsgutachten von Prof. Dr. Friedhelm Hufen (emeritierter Prof. für Öffentliches Recht an der Uni Mainz) vom 14. August 2024 belegt: Das Neutralitätsgebot verbietet Empfängern öffentlicher Förderung nicht, sich klar zu positionieren für eine tolerante und weltoffene Zivilgesellschaft. Unter Beachtung des Gebotes der Sachlichkeit ist es nicht nur gestattet, sondern vielmehr Auftrag demokratischer Bildungsträger, Werte und Normen auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu leben und zu vermitteln.
Sagt also der „Beutelsbacher Konsens“ von 1976, dass ein Überwältigungsverbot sowie ein Kontroversitätsgebot im Rahmen von politischer Bildung gilt. Prof. Dr. Hufen widerspricht dem nicht. Aber er stellt heraus, dass allen Akteurinnen und Akteuren mehr Spielraum bei der kritischen Positionierung eingeräumt werden muss und eine aktivere Rolle in der Demokratiebildung und bei der Warnung vor Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung erlaubt und geboten ist.
Gerade landesverbandliche Strukturen für Jugendkunstschulen und kulturpädagogische Einrichtungen können hier mit einer gemeinschaftlichen Erarbeitung von Leitbildern ihren Mitgliedseinrichtungen wertvolle Unterstützung bieten. Schon der Satz „wir arbeiten und handeln parteipolitisch neutral aber nicht werteneutral“ in einem Leitbild kann eine verbindende Wirkung nach innen und außen erzielen.
Das Neutralitätsgebot in der kulturellen Bildung bleibt ein komplexes und umstrittenes Thema. Es stellt Jugendkunstschulen vor die Herausforderung, einerseits ein neutrales und freies Lernumfeld zu bieten, andererseits aber auch die notwendigen Freiräume für kreative und kritische Auseinandersetzungen zu schaffen. Eine ausgewogene Umsetzung erfordert ein feines Gespür für die Balance zwischen Neutralität und Offenheit.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jugendkunstschulen und kulturpädagogische Einrichtungen unverzichtbare Orte der Demokratiebildung sind. Sie bieten jungen Menschen die Möglichkeit, sich kreativ auszudrücken, gleichzeitig aber auch demokratische Werte und Kompetenzen zu erlernen. Durch ihre Arbeit tragen sie dazu bei, dass die Demokratie nicht nur als politisches System, sondern als gelebte Praxis in der Gesellschaft verankert wird.
Die Herausforderungen, die durch das Neutralitätsgebot und die Gemeinnützigkeit entstehen, dürfen dabei nicht unterschätzt werden. Es ist jedoch möglich, diesen Herausforderungen durch klare Leitbilder und eine bewusste Positionierung zu begegnen. In diesem Sinne müssen Jugendkunstschulen nicht nur Orte der Kunst und Kultur sowie der Kulturellen Bildung sein, sondern auch Orte des gesellschaftlichen Engagements und der aktiven Demokratiebildung.
Die Bedeutung der Jugendkunstschulen für die Demokratiebildung wird in Zukunft weiter zunehmen. In einer Zeit, in der demokratische Werte immer wieder in Frage gestellt werden, sind Einrichtungen wie die Jugendkunstschulen wichtiger denn je. Sie sind Orte, an denen junge Menschen lernen können, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben, Verantwortung zu übernehmen und die Gesellschaft aktiv mitzugestalten.

Quellen: https://www.bjke.de/leitbild-jugendkunstschule.html

Rechtsgutachten zum sogenannten Neutralitätsgebot stärkt sächsischen Vereinen den Rücken

https://www.bpb.de/lernen/inklusiv-politisch-bilden/505269/der-beutelsbacher-konsens/

Foto: Gemeinschaftsarbeit im Rahmen der Kennenlerntage, 5. Klassen Herder-Gymnasium Nordhausen. Sebastian Schimmel, Jugendkunstschule Nordhausen e.V.
Foto: Jugendliche lassen die "Mauer des Hasses" einstürzen. Projekt im Rahmen des "Orange-Day" in Sondershausen. LAG JKS.
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